Thomas Popper (Hg.): Dinge im Kontext

Artefakt, Handhabung und Handlungsästhetik zwischen Mittelalter und Gegenwart

Rezension von Bernhard E. Bürdek

Diskurse um die Kontexte von Dingen oder Produkten werden in der Designtheorie und Designgeschichte seit langem geführt: Christopher Alexanders legendäre Studie „Notes on the Synthesis of Form“ (1964) machte deutlich, dass es die Kontexte sind, die die Formen von Bauwerken, Dingen oder Produkten bestimmen. Dies wird ganz aktuell auch in den Kulturwissenschaften (Cultural Sciences) erkannt, eine Thematik also, die im Design seit längerem virulent ist.

Eine Tagung an der Westsächsischen Hochschule Zwickau/Angewandte Kunst widmete sich 2012 dieser Thematik, die dort gehaltenen Vorträge liegen jetzt als Buch vor. Nur am Rande sei erwähnt, dass der Begriff der „Angewandten Kunst“ seit den 1930er Jahren obsolet ist, da er auf einem Übersetzungsfehler von Herbert Read beruht. Und so ist auch die Schneeberger-Konferenz „Design-Erkundungen: Dinge im Kontext“ mit dem Makel behaftet, dass dort gar keine Designwissenschaftler (sondern vermehrt Kunsthistoriker) zu Wort kamen, um das Design zu erkunden, obwohl das doch im Titel der Veranstaltung stand. Dieser fatale Irrtum zieht sich inzwischen jahrzehntelang durch die einschlägige Literatur, aber Kunst- und Designgeschichte sind doch recht verschieden verortet. National wie international hat sich die Designwissenschaft und Designgeschichte schon lange von der Kunst emanzipiert, nicht zuletzt weil deren Kategorien schlichtweg nicht anwendbar sind. Kunst ist dem Individuum verpflichtet, Design der Gesellschaft – so der Wiener Philosoph Burghart Schmidt , d.h. Design muss immer technologisch, sozial und ökonomisch – und ganz zum Schluss auch semantisch – reflektiert werden. Claudia Mareis (2014) hat die Produktsemantik, die Produktsprache und die Designrhetorik als Kerndisziplinen der Designwissenschaft bezeichnet.

Und so schreibt Thomas Pöpper (S. 43) zu Recht, „es sei zu erwarten, dass bei zunehmender Komplexität der Dingproduktion auch die forschenden Designer immer komplizierter angelegte Vorstudien, Prototypentests und Gebrauchs-, Risiko, Verträglichkeitsprüfungen und so weiter werden durchführen müssen“. Wie wahr, nur von all dem erfährt man in dem Buch überhaupt nichts, denn zu diesen Themen wurden gar keine Beiträge geliefert.

Philipp Zitzlsperger (AMD Berlin) schreibt – reichlich antiquiert – dass der Mensch Dinge benutzt, nicht nur weil sie nützlich sind, sondern auch, weil sie einen ästhetischen Reiz auf seine Wahrnehmung ausüben. Die Kunstgeschichte lässt grüssen….aber Design ist heute „Statuskunst“, so der Frankfurter Soziologe Manfred Fassler, und dahinter tut sich ein veritables Gebäude theoretischer Konzepte auf; und so sollte man Bruno Latours ANT (Actor Network Theorie) schon verstanden haben, bevor man sie auf die Dinge und das Design anzuwenden versucht.

Christian Janecke – ebenfalls ein Kunsthistoriker – schreibt explizit über die Dingnutzung in oder als Kunst. Der Eigensinn der Dinge, also dessen Widerspenstigkeit ist ein veritables Spielfeld für die Kunst, und kann es ruhig auch bleiben. Deren praktische Nutzung ist marginal zumal Kunst heute derart ökonomisiert ist, so dass auch hier primär sozio-ökonomische Diskurse geführt werden müssen: die Investmentbanker und die Ölscheichs, aber auch die neuen ökonomischen Eliten in China suchen händeringend nach Anlagemöglichkeit – und dafür eignet sich Kunst ganz hervorragend. Und dass sich hier tummelnde Künstler wie Franz Erhard Walther, Franz West (†2012) oder Erwin Wurm mit Dingen (Produkten des Alltages) auseinandersetzen führt zu reichlich Amüsement in den Museen – hat aber mit Design überhaupt nichts tun, was die Künstler ja auch gar nicht behaupten.

Susanne König, Kunstgeschichtlerin in Leipzig, stellt die Dinge völlig auf den Kopf. So sind zwar designtheoretisch gesehen, die „eingeschriebenen Gesten“ im Umgang mit Dingen durchaus bedeutsam, für das Design sind es jedoch vielmehr die „zugewiesenen“ Bedeutungen, die gesellschaftlich vermittelt kommuniziert werden und damit die symbolischen Werte der Produkte ausmachen. Wenn Design als Störfaktor betrachtet wird, dann ist das erneut eben der kunsthistorische Blick. Die Benutzer von „electronic devices“ sind bereits beim Auspacken eines neuen Geräts völlig verstört – in den allermeisten Fällen erklärt sich dabei nämlich überhaupt nichts mehr, erst die Lektüre oftmals kryptischer Bedienungsanleitungen ist unverzichtbar. Und hier kommt dem Design eine bedeutsame Rolle zu: mittels Interaction/Interface Design (Bill Moggridge) erhalten die Dinge (Produkte) eine neue Anschaulichkeit, deren Funktionalitäten und auch der Gebrauch werden sichtbar – Design macht also sichtbar und ist nicht unsichtbar, wie es Lucius Burckhard schon 1980 fälschlicherweise proklamiert hatte, aber Irrtümer halten sich im Design besonders lange.  Und so braucht es auch keinen derzeit so beliebten „erweiterten Designbegriff“ (Martino Gamper, S. 127), der dann gerne zu mannigfaltigen „Designfluchten“ führt: Müllabfuhrdesign für Hamburg, Design für den Alpenraum in Bozen oder das Social Design recycelt aus den 1980er Jahren (Victor Papanek lässt grüssen). Statt breites, transdisziplinäres Wissen ist Tiefschürfendes angesagt, und das ist wahrlich kein Irrtum! Denn so einfach wie im Mittelalter sind die Dinge (Produkte) eben nicht mehr: ein Kamm, der die Haare frisiert und dieses zugleich von Parasiten wie Flöhen und Läusen zu befreien in der Lage ist (Julia Saviello: „Purgat et Ornat“, S. 133f), so etwas war eben praktisch und anschaulich zugleich.

Immerhin, der Kunstgeschichtler Tobias Lander von der Albert-Ludwig-Universität in Freiburg greift Jean Baudrillards Untersuchung über „Das System der Dinge“ (1968) auf, ein Text der auch designtheoretisch durchaus bedeutsam ist. Er wendet diese auf verschiedene Möbel der 1960er Jahre an und interpretiert sie kommunikationstheoretisch und semantisch. Möbel sind Symbolformen (S. 219), das ist zwar alles nicht neu stimmt aber trotzdem, denn das Buch soll ja Einblicke in die Fragestellungen aktueller Forschung liefern.

Petra Leutner (AMD Hamburg) bietet fundierte Einblicke in Dinge, Kleider und Gesten. Ihre historischen Beispiele sind präzise formuliert, sie weist nach, wie sich der Schneider zum Couturier und dann zum Designer weiterentwickelt hat (S. 240), ein Phänomen das in vielen anderen Produktbereichen ähnlich zu beobachten ist. Die Designermarken sind aktuelle Inkarnationen des Designhypes, sie geniessen weltweit hohe Reputation und sind ökonomisch weltweit präsent und erfolgreich. Aber war das die Idee von Design? Auch Yvonne Schütze (Chemnitz) schildert anschaulich das Wechselspiel von Kunst und Mode und beschreibt diese als gesellschaftliches System – dem ist so. Elke Schulzes Beschreibung einiger Karikaturen von Erich Ohser (E.O.Plauen) erscheint mir in solch einem wissenschaftlichen Werk schlichtweg deplaziert.

Ein Verdacht drängt sich auf: Design ist heute absolut hype, stylish oder gar sexy, Kunst indes deutlich weniger. So setzten die Herausgeber durchaus auf diesen hype, bieten aber kaum relevantes Neues an. Aber wenn Design draufsteht, sollte dann nicht auch Design drin sein?

Dinge im Kontext.
Artefakt, Handhabung und Handlungsästhetik zwischen Mittelalter und Gegenwart.
Herausgegeben von Thomas Popper (Westsächsische Hochschule Zwickau/Angewandte Kunst Schneeberg).
Berlin, De Gruyter,  2015
376 Seiten, 177 Abb., Druck oder eBook jeweils € 79,95